Wer realistisch ist und die Berichterstattung auch in Bezug auf die Zwischentöne verfolgt, dem dürfte klar sein, dass Griechenland die Vorgaben der Troika nie ganz erfüllt hat. Mit den Bürgschaften hat eine gefährliche Entwicklung begonnen. Die Politik steht immer mehr vor dem Problem zu entscheiden, ob sie um kurzfristige Risiken, hier der Grexit, zu vermeiden, längerfristige Risiken immer weiter erhöht. Und es scheint, dass die wirklichen Kosten eines Grexits für die EZB und die Bundesregierung bereits so hoch sind, dass man sich am liebsten noch einmal in höhere Kostenrisiken stürzt als der Wahrheit ins Auge zu schauen, dass die Bürgschaften an Griechenland bereits verloren sind. „Kompromisse geht man ein, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen“, sagte unsere Kanzlerin. Deutschland sei dazu bereit. Die Aussage der Kanzlerin ist symptomatisch. Es gibt in ihren Augen also keine Tabus und damit auch keine absolut verbindlichen Regeln mehr.
Noch wäre eine Pleite Griechenlands wohl noch verkraftbar, es stellt sich jedoch die Frage, wie lange die Gesamtsumme aller Bürgschaften für die zu bürgenden Staaten noch verkraftbar ist. Irgendwann droht eine Eigendynamik in der die Bürgschaften für die solventen Staaten zu einer Gefahr für die eigene Solvenz werden. Zu diesem Zeitpunkt werden sie nicht nur teilweise erpressbar, sondern sie sind unmittelbar abhängig und spätestens dann tritt ein, was Griechenland schon rhetorisch vorgespielt hat: die Machtverhältnisse kehren sich um, die bürgenden Staaten geraten in existenzielle Abhängigkeit von den Schuldnern. Zu diesem Zeitpunkt, ist dann die Politik von einer behaupteten Alternativlosigkeit in eine wirkliche Alternativlosigkeit geraten.
In einem solchen Fall treten die kurzfristigen realpolitischen Erwägungen tatsächlich vor allgemeine ordnungspolitische Prinzipien. Angela Merkel wird im Rückblick dann als Verantwortliche für die grundsätzliche Verunmöglichung einer jeglichen Ordnungspolitik in die Geschichte eingehen.
Wie kann Deutschland, dessen Wohlstand ganz wesentlich durch eine funktionierende Ordnungspolitik bedingt ist, im Innern diese Ordnungspolitik noch behaupten, wenn sie im Äusseren gar nicht mehr funktioniert. Warum sollen Menschen noch Steuer zahlen, wenn die Steuer dazu verwendet wird, um Defizite da auszugleichen, wo keine Steuer gezahlt werden? Warum sollte ein Schuldner seine Schulden zurückzahlen, wenn es die Staaten nicht mehr tun. Warum sollte der Bürger sich nicht sein eigenes Geld drucken, wenn es staatliche Einrichtungen tun?
Kurz zusammengefasst: ein Staat, der sich nicht an die eigenen Regeln hält, kann nicht auf Dauer erwarten, dass sich die Bürger noch an die Regeln halten. Und wenn sich die Bürger nicht mehr an die Regeln halten, dann droht der Staat als legitimes und glaubwürdiges Gebilde zusammenzubrechen. Und genau dies ist die griechische Krankheit.
Werden die Deutschen Angela Merkel dahin folgen, in die vollkommene Relativierung der Ordnung durch die komplette Verherrlichung der Beliebigkeit und momentanen Bequemlichkeit?
Der Holocaust ist das dunkelste Kapitel der deutschen Nation. Aber möglicherweise ist er nur ein Symptom dessen, dass die Deutschen immer wieder blind, gleichgültig und interessenlos ihren politischen Führern folgen.
Ich hoffe ich habe nicht recht. Aber bis jetzt hat sich die Europapolitik eher zum vorhersehbaren Schlechten, als zum erhoffenswerten Guten entwickelt. Dies dürfte auch im oben skizzierten Sinn überhaupt nichts gutes für Deutschlands Zukunft bedeuten. Europa würde im Chaos enden, weil Deutschland aus falsch verstandener Nachgiebigkeit seine eigene Rolle einmal wieder Missverstanden hätte. Europa wäre dann einmal wieder im Chaos wohl vereint, aber nur im Elend, nicht im Frieden.